Jesaja

Jesaja
Jesaja
Das Buch Jes lässt sich grob in drei Teile unterteilen, zwischen denen es zwar verschiedene Anknüpfungspunkte gibt, die aber auch ohne Probleme allein hätten überliefert werden können:
Protojesaja (Jes 1-39), Deuterojesaja (40-55) und Tritojesaja (56-66).
Die Existenz Tritojesajas als eigenständiges Buch wurde in den
vergangenen Jahren immer weiter bestritten, es wird heute als
redaktionelle Erweiterung des Buches Deuterojesaja verstanden.
Doch sagt dieses nur etwas über die tatsächliche Entstehung des Buches aus. D.h. es wurde niemals unabhängig von DtJes tradiert, sondern war immer auf DtJes bezogen. Inhaltlich ist es jedoch geschlossen und lässt sich soweit von DtJes abheben, dass es durchaus alleine existieren könnte. Von daher ist die Dreiteilung weiterhin ein deutliches literarisches Kennzeichen innerhalb des Jes. Markiert ist die Dreiteilung vor allem durch die unterschiedlichen Zeitabschnitte, in denen das Buch spielt: PrJes zu Zeiten der Assyrer, DtJes in der Exilszeit unter der Herrschaft der Babylonier und TrJes in der nachexilischen Phase unter persischer Herrschaft. Diese Unterschiede schlagen sich markant im Buch nieder.
Beginnen wir chronologisch mit der assyrischen Zeit und damit mit PrJes. Die Kapitel Jes 1-39 zerfallen in verschiedene Sammlungen, zwischen denen sich z.T. überleitende Texte finden. Im Einzelnen sind diese Teile:
Jes 1-12 Worte an und über Israel / Juda
Jes 13-23 Fremdvölkerworte
Jes 24-27 Jesaja-Apokalypse
Jes 28-33 Assur-Zyklus
Jes 34f. Zu DtJes überleitende Kapitel
Jes 36-39 Jesaja-Legende
Diese einzelnen Teile werden beginnend mit Jes 1-12, den Worten Jesajas an und über Israel / Juda, nacheinander betrachten: Die Kapitel Jes 1-12 sind in Form einer Ringstruktur um einen festen literarischen Kern komponiert. D.h. hier findet sich eine redaktionelle Anordnung von Texten, die historisch ursprünglich so nicht aufeinander bezogen waren und erst durch redaktionelle Arbeit in diese Ordnung gebracht wurden.
Kern von Jes 1-12 sind die Kapitel Jes 6,1-9,6, die Denkschrift. Die Denkschrift geht in ihrem literarischen Kern in die Zeit des syrisch-ephraimitischen Krieges (733/2 v.Chr.) zurück. Sie setzt sich aus drei Teilen zusammen, die dann wiederum noch ergänzt wurden. In Jes 6 findet sich die Thronvision des Propheten Jesaja, der JHWH auf dem Thron sitzend sieht, gereinigt wird und dann von Gott den Auftrag erhält, das Volk zu verstocken. Mit dem Verstockungsauftrag ist eines der Hauptthemen des Buches gegeben: Das Volk ist nicht mehr in der Lage, den göttlichen Willen zu erkennen und kann daher die Botschaft des Propheten unter keinen Umständen annehmen. Das kommende Gericht, das in Jes 6,12f. angekündigt wird, ist unabwendbar.
Der zweite Teil der Denkschrift sind Jesajas Zeichen an das Königshaus und das Volk, das sich gegen das davidische Königshaus stellt. Mit drei Zeichen zeigt Jesaja seinen Zuhörern, dass weitere Vorsorge während des syrisch-ephraimitischen Krieges nicht notwendig ist, da JHWH sein Volk beschützt, in dem er die aramäisch-isralitische Koalition untergehen lassen wird, ehe diese Juda Schaden zufügen kann. Diese Zeichen finden sich in den Kapiteln Jes 7f., die jeweils um weitere Unheilsworte ergänzt wurden. In Jes 9,1-6 befindet sich das dritte Thema der Denkschrift: der kommende Heilskönig. Formgeschichtliche handelt es sich in Jes 9,1-6 um eine Herrscherweissagung, derzufolge der Nachfolger des Königs Ahas ein Friedenskönig sein soll, der größer als der assyrische Herrscher wird und der die göttliche Ordnung endgültig umsetzen wird.
Um diesen Kern herum sind die Text Jes 5,8-30 und Jes 9,7-20; 10,1-4 gelegt, die einen gemeinsamen Kehrvers haben (Bei alle dem lässt sein Zorn nicht ab, seine Hand ist noch ausgestreckt.). Außerdem entsprechen sich Jes 5,8-30 und Jes 10,1-4 in der Form. Hier finden sich Wehe-Worte. Bei Jes 9,7-20 handelt es sich um ein Kehrversgedicht, wobei der Kehrvers das verbindende Elemente zu Jes 10,1-4 und Jes 5,25-30 darstellt. Die nachträgliche literarische Komposition ist also gut zu erkennen. Diesen Kapiteln vorangestellt ist das Weinberglied in Jes 5,1-7, das den kommenden Untergang als unausweichlich darstellt. Es leitet das Kommende ein und stellt das entscheidende Thema voran.
Wiederum um die Kapitel Jes 5,1-10,4 liegen die Texte Jes 4,2-6 und Jes 10,20-33. Sie berichten über die Belagerung Jerusalems durch die Assyrer und bieten damit eine andere historische Situation. Ihr verbindendes Thema ist der Schutz Jerusalems durch JHWHs Anwesenheit.
Um diese Komposition herum liegen die Texte Jes 2,1-5 und Jes 11,1-16. Sie beschreiben das kommende Friedensreich und nehmen damit ein Thema auf, das bereits mit der Herrscherweissagung in Jes 9,1-6 angeklungen ist. Zwischen die Komposition wurde in nachexilischer Zeit noch der Text Jes 2,6-4,1 geschoben, in dem es um Gottes Gericht an Jerusalem und das kommende Heil für die Geretteten geht. Im Hintergrund steht die apokalyptische Vorstellung vom Tag des Herrn. Dieser Text weist eschatologische Erwartungen auf, die sich zu assyrischer Zeit noch nicht finden lassen.
Den letzten Rahmen um die Komposition legen die Kapitel Jes 1 und 12. Jes 1 setzt sich wiederum aus Stücken unterschiedlichen Ursprungs zusammen und kann als kleine Gesamtschau des folgenden Buches angesehen werden. Auffällig ist, dass sowohl Jes 1 als auch Jes 2 mit einer separaten Buchüberschrift beginnen. Jes 12 nimmt schließlich das Thema der Erlösung wieder auf, der das Gerichtsbild in Jes 1 voraussetzt. Es geht also nicht um einen Schutz vor dem göttlichen Gericht, sondern um eine Rückwendung Gottes zur Gutmütigkeit mit dem Volk: Zu der Zeit wirst du sagen: Ich danke dir, HERR, dass du bis zornig gewesen über mich und dein Zorn sich gewendet hat und du mich tröstest (Jes 12,1).
Der zweite Teil des PrJes, der sich von Jes 13-23 erstreckt, ist wiederum einfach komponiert. Auch in ihm ist aufgrund der Themen ersichtlich, dass die einzelnen Texte aus sehr unterschiedlichen Zeiten stammen (assyrische und babylonische Zeit). Zentrales Thema ist Gottes Gericht an den Völkern, das sich in der Form der Fremdvölkerworte niederschlägt. Diese Fremdvölkerworte wenden sich aber nicht nur gegen fremde Völker, sondern es finden sich auch welche gegen Israel und gegen Jerusalem. Ein Fremdvölkerwort ist also eine feste literarische Gattung, deren Ursprung die Zusage von Unheil für die fremden Völker bei der Königsinthronisation ist. Der Fremdvölkerzyklus besteht aus folgenden Teilen:
Jes 14 Gegen Babylon
Jes 15 Gegen den Weltherrscher, gegen Assyrien und gegen die Philister
Jes 16 Moab sucht Hilfe bei Juda
Jes 17 Gegen Damaskus und Israel; Weissagung über das Völkermeer
Jes 18 Gottes Botschaft an Kusch (Südägypten)
Jes 19 Gegen Ägypten
Jes 20 Weissagung des assyrischen Triumphes über Ägypten
Jes 21 Der Untergang Babylons; Sprüche gegen Edom und Arabien
Jes 22 Gegen Jerusalem und gegen die babylonischen Verwalter des Landes Juda (Schebna und Eljakim)
Jes 23 Gegen Tyrus und Sidon
An den Fremdvölkerzyklus schließt sich mit der Jesaja-Apokalypse das wohl jüngste Stück des Jes an. In ihm geht es um das Gericht Gottes am Tag des Herrn. In Jes 24 wird das zukünftige Gottesgericht angesagt, bei dem Gott die Völker und Könige für ihre Taten zur Rechenschaft ziehen wird. Jes 25 fährt mit dem Danklied der durch das Gericht Erlösten und dem großen eschatologischen Mahl fort. In Jes 26 findet sich das Jubellied des Gottesvolkes. Anschließend wird das göttliche Gericht über die Welt thematisiert und mit ihm die Auferweckung Israels: Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen (Jes 26,19). Nach der Auferweckung durch Elisa findet sich hier zum zweiten Mal das Thema Auferstehung im Alten Testament. Den Abschluss der Jesaja-Apokalypse bildet Jes 27 mit der Erlösung Israels aus der Bedrängung durch alle Feinde, die hier im mythischen Bild des Leviatan erscheinen.
Aus wesentlich früherer Zeit stammt der folgende Assur-Zyklus in Jes 28-32. In ihm finden sich wiederum Worte des historischen Propheten Jesaja. Er setzt in Jes 28 mit der Gerichtsansage über Samaria, der Hauptstadt des Nordreichs Israel ein (Jes 28,1-6), kündet danach aber auch das Gericht über die Priester und Propheten in Jerusalem an. Die Gerichtsschläge werden als Gottes weiser Ratschluss beschrieben (Jes 28,23-29). Anschließend wendet sich die Darstellung den historischen Fakten der assyrischen Zeit zu. In Jes 29 findet sich eine Darstellung über die assyrische Belagerung Jerusalems, die jedoch nicht zur Katastrophe, sondern zur Rettung Jerusalems durch JHWH führt. Es folgt eine vierfache Beschreibung des Volkes Judas. Diese vier Worte bilden jeweils einzelne Interpretationen des Verstockungsauftrages aus Jes 6. Mit Jes 29,1-24 wird die große Wandlung der geschichtlichen Situation beschrieben. Dass es sich bei dem Stück um eine spätere Ergänzung handelt, ist schon aus der Wortwahl, die an DtJes erinnert, zu sehen.
Jes 30 warnt vor einem Vertrauen auf ägyptische Hilfe. Dieses Thema taucht bereits in der Denkschrift auf, wird aber hier breiter ausgeführt. Gleichzeitig warnt Jesaja davor, der göttlichen Schutzzusage mit Misstrauen entgegenzutreten. Er hebt das Erbarmen Gottes über sein Volk und das kommende Gericht über Assyrien hervor. Jes 31 wendet den Blick nochmals zurück auf Ägypten und setzt mit einer erneuten Warnung vor einer Bündnispolitik mit Ägypten ein. JHWH wird Jerusalem vor dem Ansturm der Assyrer erretten und anschließend Gericht über Assyrien halten. Jes 32 schließt an dieses Gericht das kommende Reich der Gerechtigkeit an. Hier erscheint die Reihenfolge, die sich bereits in der Denkschrift zeigte: Nach der überlebten Bedrohung wird Gott eine Herrschaft installieren, die seine Gerechtigkeit umsetzen kann. Jes 32 ergänzt aus späterer Zeit die Ausgießung des Geistes als das Mittel, durch das Gerechtigkeit in das Land kommen wird.
Jes 33 ist sekundär an den Assur-Zyklus angehängt, thematisch aber durchaus zu ihm zu rechnen. In diesem Kapitel wird nochmals die Errettung Jerusalems vor der Verwüstung der Feinde thematisiert. Dabei wird als Feind nicht mehr das assyrische Heer angesehen, sondern es wird vom Sturm der Völker berichtet, wie er sich vor allem in der nachexilischer Zeit in der Literatur des Alten Testaments finden lässt. Der Sturm der Assyrer wird mit dem Sturm der Völker, die vor dem Zion kapitulieren werden, gleichgesetzt.
Jes 34 und Jes 35 leiten zu DtJes über. Jes 34 beschreibt das Strafgericht über Edom. Den Edomitern wird vorgeworfen, judäische Flüchtlinge aus der Zeit der Katastrophe 587/6 v.Chr. nicht aufgenommen zu haben und ihnen damit eine Fortleben verwehrt zu haben. Dieses wird zum Strafgericht Gottes über Edom führen. Jes 35 blickt auf das in exilischer Zeit kommende Heil für Jerusalem voraus. Dabei wird die Metaphorik der jubelnden Wüste verwendet, die sich auch in Jes 40 findet. Der Abschluss des Kapitels ist deutlich in dtjes Terminologie verfasst: Die Erlösten des HERRn werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen (Jes 35,10).
Mit den Jesaja-Legenden wird der Teil PrJes in Jes 36-39 abgeschlossen. Sie sind nahezu mit 2Kön 18-20 identisch (nur wenige Abweichungen, die sich aus der spezifischen jesajanischen Theologie erklären lassen) und beschreiben das Auftreten des Propheten unter König Hiskija. Dieser wird innerhalb der Erzählung als gottesfürchtiger und JHWH treuer König beschrieben, der mit seiner Stadt und seinem Königshaus aufgrund seines Vertrauens auf JHWH aus der schwierigen Situation der assyrischen Belagerung befreit wird.
Deuterojesaja
Der Buchteil Deuterojesaja wird einem in exilischer Zeit auftretenden Propheten zugerechnet, dessen wirklicher Name nicht überliefert ist, der aber aufgrund seiner theologischen Ausprägung und der aus ihr stammenden Begrifflichkeit sehr nahe an die vorexilischen Bestandteile von Protojesaja anzusiedeln ist. Daher wurde das Buch als Fortsetzung in das Jes integriert. Wann dieses letztendlich geschah, ist unklar. Es wurden noch in späterer Zeit Handschriften gefunden, in denen DtJes an das Buch Jer angehängt ist. Das zeigt zumindest, dass die Zusammenstellung von PrJes und DtJes redaktionell erfolgte und damit nicht ursprünglich ist.
Das Buch DtJes zerfällt in zwei Teile: Jes 40,1-48,19 beschäftigt sich mit dem Thema 'Rekonstitution des JHWH-Glaubens', Jes 48,20-55,13 mit dem 'Zug zum Zion'.
Teil 1 des Buches spielt im babylonischen Exil und erzählt vom Auftreten eines Propheten, der seine exilierten Landleute davon überzeugen möchte, dass der Glaube an den Gott JHWH sich nicht überholt hat, auch wenn die Zusage des dauerhaften Bestandes Jerusalems und der davidischen Dynastie zunächst gescheitert scheint. Dazu führt der Prophet das Bild des sich wieder zuwendenden Gottes an, der seinem Volk die begangene Schuld vergibt und neues Heil verheißt. Aus diesem Handeln zieht der Prophet die Konsequenz der Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit des Gottes Israels. So preist er ihn am Ende von Jes 40: Er gibt dem Müden Kraft, und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen; aber die auf den HERRn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden (Jes 40,29-31).
Jes 41 nimmt ein Motiv auf, das auch in der Jesaja-Apokalypse erscheint, das hier aber historisch betrachtet erstmals im Jes erscheint: das Bild der Völker vor dem Weltenrichter. Es wird deutlich, welch geringe Bedeutung Israel / Juda im Vergleicht mit anderen Völkern spielt. Trotzdem ist es das von Gott ausgewählte Volk, dem er beistehen wird.
Mit Jes 42,1-4 setzen die Gottesknechtslieder ein, die in Jes 49,1-6; 50,4-11 und 52,13-53,12 fortgesetzt wird. Die Lieder gelten als abgeschlossene Sammlung. Zwar drehen sich die Lieder durchgehend um einen Knecht, der unter den Schlägen des Lebens zu leiden hat, doch lässt sich aus ihnen kein eindeutiges Bild gewinnen, wer oder was der Knecht nun sei. So stehen sich in der Forschung individuelle Deutung (der Prophet selber) und kollektive Deutung (das ganze Volk) gegenüber, ohne dass es für eine der beiden Thesen eine abschließende Verifizierung gäbe. Die Lieder an sich bieten kein geschlossenes Gesamtbild. Vielmehr stehen die Gottesknechtslieder der oben gezeigten Zweiteilung des Buches im Weg. Sie lassen sich eher als roter Faden durch beide Buchteile verstehen. Der Herrlichkeit Gottes und der Güte am Volk steht das Schicksal eines einzelnen Menschen gegenüber. Die Ambivalenz des Lebens bleibt so erhalten.
Nach dem ersten in Jes 42,1-4 schließt sich die Ansage der Befreiung des Volkes durch Gott an. JHWH wird zu seinem Volk kommen, um es zu befreien. D.h. nach dem Verlust des Tempels gibt es keinen Ort mehr, an dem JHWH dem Volk begegnen kann. So muss er sich zum Volk hin aufmachen, um dieses zu befreien. Jes 43 verkündet schließlich die Erlösung. Israel erhält mit der geschehenen Erlösung eine Aufgabe: Das Volk wird zum Zeugen JHWHs und seiner Existenz vor der Welt. Damit dieses geschehen kann, muss JHWH zwei Dinge vollbringen: sein Volk heimführen und ihm seine Sünden vergeben. Beide Taten schließen Jes 43 ab.
Jes 44 bietet einen erneuten Gottesbeweis: Gott erinnert sein Volk daran, wie er es geschaffen hat. Besondere Bedeutung erhält dieses Kapitel im Blick auf das Gottesbild: War JHWH bisher einer unter vielen Göttern und wurde als solcher von seinem Volk verehrt, so leugnet der Prophet nun die Existenz aller anderer Götter und zeigt, dass JHWH der einzige Gott ist. Alle anderen sind Götzen, von Menschen gemachte Bilder, die nichts Göttliches an sich haben. Das Kapitel endet schließlich mit dem Jubel des Volkes bei der Erlösung.
Jes 44,24-45,8 nehmen die alte Tradition des von Gott ausgewählten und gesalbten Herrschers wieder auf. Nur ist es in diesem Fall kein Davide, der diese Auszeichnung erhält, sondern der Perserkönig Kyros, der zum Machthaber über Babylonien aufsteigt, wird als der neuen Gesalbte (Messias) verkündet. Er ist derjenige, der Gottes Ratschluss in die Tat umsetzen wird und Israel die Freiheit schenkt. Warnend tritt der Prophet anschließend gegen die Volksangehörigen auf, die meinen, aufgrund der Besinnung Gottes nun übermütig werden zu können. Dass sich Gottes Zorn gewendet hat und er seinem Volk verziehen hat, heißt nicht gleichzeitig, er könne nie wieder zürnen. Vorsicht ist also geboten. Letztlich endet das Kapitel aber in der Verheißung des Sichtbarwerdens von Gottes Herrlichkeit für alle Welt.
Jes 46-48 rechnen schließlich mit der babylonischen Herrschaft ab. In Jes 46 zeigt der Prophet, wie die babylonischen Tempel und Götterbilder unter dem Kommen JHWHs zusammenbrechen werden. Anschließend hält JHWH in Jes 47 Gericht über Babylon und begnadigt bei diesem Akt Israel (Jes 48,1-19). Die Stunde der Heimkehr ist nun gekommen.
Mit ihr fährt der zweite Teil der Buches fort, Jes 48,20 setzt mit dem Gedanken ein. In Jes 49,7-26 wird das Volk Israel wiedererrichtet und kann aufbrechen. Doch bevor es soweit ist, blickt Jes 50,1-3 nochmals auf die begangene Schuld des Volkes zurück. Der Prophet zeigt, wie Gott sich selber um seines Volkes Willen preisgab. Daraus resultiert das ewige Heil für Israel, das der Prophet seinem Volk in Jes 51 verkündet. Gottes Herrschaftsmittel werden Macht und Trost sein (aber keine Strafe mehr). Und um das verwüstete Jerusalem über seine Rückkehr zu informieren, weckt er es aus dem Schlaf (Jes 51,17-23). Nach dem Zion weckt JHWH dann auch sein Volk zum Aufbruch in die Freiheit (Jes 52). Gott selber wird die Herrschaft über sein Volk nun dauerhaft ausüben: Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die das sagen zu Zion: Dein Gott ist König! (Jes 52,7). Dieses Heil wird sich in einer neuen Heilszeit auswirken, die Gott seinem Volk in Jes 54 verheißt. Abgeschlossen wird das Buch DtJes mit der Einladung zum Gnadenbund, der an alle Menschen ergehen wird. Auch wenn es Widersacher im Gottesvolk gegen die Aufnahme anderer Völker in den Gnadenbund geben wird, so werden alle am Ende erkennen müssen, dass es sich um den richtigen Weg handelt. Es ist Gottes Weg, den nicht alle verstehen werden: Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende (Jes 55,8-11).
Tritojesaja
Der dritte Teil des Buches stammt aus der Zeit, in der das Volk wieder am Zion angelangt ist. Es ist die Zeit der persischen Herrschaft über den Alten Orient. Diese ist von der toleranten Religionspolitik der Perser geprägt.
TrJes ist wiederum als Ringkomposition geschaffen. Um den Kern Jes 60-62 liegen zwei Ringe (Jes 59; 63f. und Jes 56-58; 65f.). Sie zeichnen sich durch wiederholende Themen aus.
In Jes 56-58 und 65f. finden sich vor allem Gerichtsworte gegen diejenigen, die sich nicht an die Regeln des Gottesvolkes halten. Die Herrschenden werden für ihre Unachtsamkeiten kritisiert (Jes 56). Drastischer wird das Verhalten der Gottlosen reglementiert, die im Gegenüber zu den Frommen gesehen werden (Jes 57). Jes 58 setzt sich mit kultischen Verfehlungen auseinander (Fasten, Sabbath). In Jes 65f. finden diese Gerichtsworte ihre Entsprechungen in der Verstoßung der Abtrünnigen (Jes 65) und der Strafe für falschen Gottesdienst (Jes 66) und für Gottlose im Endgericht (Jes 66). Kombiniert werden diese Texte hier mit den apokalyptischen Bildern der Schaffung eines neuen Himmels und einer neuen Erde (Jes 65) und dem verheißenen eschatologischen Heil für Jerusalem (Jes 66).
Der zweite Ring findet sich in den Kapiteln Jes 59 und Jes 63f. In Jes 59 stimmt der Prophet eine Volksklage aufgrund der schlechten sozialen Bedingungen in Jerusalem an. Das geschehende Unrecht ist mit den Wehe-Worten in Jes 5; 10 vergleichbar, doch ist die Konsequenz aus diesen Verhaltensweisen eine andere: Aber für Zion wird er als Erlöser kommen und für die in Jakob, die sich von der Sünde abwenden, spricht der HERR (Jes 59,20). Seine Entsprechung findet die Volksklage in Jes 59 in Jes 63f. Dort wird zunächst über das Gericht an Edom berichtet, anschließend tut das Volk Buße und bittet JHWH um Erlösung aus der begangenen Schuld: Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; 'Unser Erlöser', das ist von alters her dein Name (Jes 63,16). Gottes erlösendes Handeln und seines Volkes Buße gehen also Hand in Hand.
Den Kern des Buches bilden die Kapitel Jes 60-62. Sie erneuern die in DtJes getroffene Aussage von der zukünftigen Herrlichkeit des Zions (Jes 60; 62) und rücken die Person des Propheten in den Mittelpunkt, der sich in Jes 61 als Träger des Geistes Gottes zu erkennen gibt und als solcher die Botschaft von der Erlösung zu den Seinen bringt: Der Geist Gottes des HERRn ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRn und einen Tag der Vergeltung unseres Gottes, zu trösten alle Trauernden, zu schaffen den Trauernden zu Zion, dass ihnen Schmuck statt Asche, Freudenöl statt Trauerkleid, Lobgesang statt eines betrübten Geistes gegeben werden, dass sie genannt werden 'Bäume der Gerechtigkeit', 'Pflanzung des HERRn', ihm zum Preise (Jes 61,1-3).
Mit diesen Versen wird das Thema der nachexilischen Zeit deutlich: Die versprochene Herrlichkeit Gottes muss für das Volk sichtbar werden und es muss sich in der täglichen Realität erfahren lassen. Dass dieses kommen wird, dafür steht der Prophet mit diesem Buch ein.
Die Schriftprophetie
Das Zeugnis der Schriftprophetie findet sich in der Hebräischen Bibel in den Büchern der Hinteren Propheten, zu denen die drei großen Propheten Jesaja, Jeremia und Ezechiel, sowie das Zwölf-Propheten-Buch gerechnet werden. Über sie sind nicht nur kurze oder längere Notizen innerhalb eines Geschichtswerks überliefert, sondern unter ihrem Namen erscheinen ganze Bücher. Sie wurden mehrfach redaktionell überarbeitet, so dass sie heute nicht mehr als das Werk jeweils einer Person angesehen werden können. Zum Teil bleiben nur geringe Teile der Bücher übrig, die den historischen Propheten zugewiesen werden können.
Die Entstehung der Bücher ist grundsätzlich von der kleineren Einheit zur größeren von Statten gegangen. D.h. am Anfang dieser Bücher stehen häufig einzelne Sprüche, die vom Propheten oder seinen Schülern in größere Zusammenhänge gesetzt und als solche verschriftet wurden. Es ist durchaus vorstellbar, dass die einzelnen Prophetenworte zunächst mündlich umliefen und erst bei der Zusammenstellung aufgeschrieben wurden. Mit Sicherheit nachweisbar ist dieses nicht, eine direkte Niederschrift ist ebenfalls möglich (, wenn auch bis heute nicht bekannt).
Die Schriftpropheten eigen ist ihr direkter Gotteskontakt ihre Berufung. In der Regel bezeichnen sie sich selber nicht als Propheten, sondern nennen sich 'Seher'. Dies bedeutet nichts anderes, als dass sie eine Vision hatten, aufgrund derer sie die in diesem Buch tradierten Sprüche getätigt haben. Dabei fallen zwei Sprucharten auseinander: Sie können direkte Gottesrede weitergeben (i.d.R. gekennzeichnet durch 'so spricht der HERR' bzw. 'so spricht Gott' oder 'Spruch des HERRN / Spruch Gottes', oder sie interpretieren aktuelle Ereignisse unter dem Eindruck ihrer Vision und sprechen so eine für sie logische Schlussfolgerung aus, mit der sie das göttliche Verständnis dieses Handelns aufzeigen.
In der europäischen Geistesgeschichte wurden die Propheten vor allem als Strafankündiger für soziales oder kultisches Unrecht verstanden. Dieses spiegelt nur eine Seite der Prophetie dar. Alttestamentliche Propheten sind - und das ist eine Besonderheit innerhalb des Alten Orients - auch aber nicht ausschließlich als Unheilspropheten aufgetreten. Eine zeitliche Trennung der Unheils- und Heilsprophetie zwischen vorexilischer und exilisch / nachexilischer Zeit ist nach dem heutigen Stand der Forschung nicht mehr haltbar. Auch in vorexilischer Zeit gab es in Israel / Juda Heilspropheten, die dem König die Errettung vor Feinden, Landgewinne im Kriegsfall, reiche Beute und einen dauerhaften Bestand seiner Dynastie zusagten. Die Botschaft der Propheten bleibt zeitgebunden und ist an die jeweilige (nicht immer sofort ersichtliche) historische Gegebenheit gebunden.
Gesammelt wurden die Prophetenworte vor allem aus zwei sich gegenseitig bedingenden Gründen: weil sie durch die Geschichte verifiziert wurden oder weil sie durch die Geschichte noch nicht verifiziert worden sind. Im zweiten Fall muss aber zumindest eine teilweise Verifizierung der Worte stattgefunden haben, ansonsten hat sich das Wort insgesamt nicht als göttlich erwiesen. D.h. wiederum auch, uns sind gar nicht alle jemals in Israel / Juda aufgetretenen Propheten bekannt, sondern es wurden nur Worte solcher überliefert, deren Worte sich zumindest zum Teil bewahrheitet haben. Worte, deren Erfüllung nicht eintrat, wurden als Zukunftsweissagungen verstanden, die sich mit der kommenden Geschichte erfüllen werden. So finden sich Fortschreibungen einzelner Prophetenworte, die die Worte in einen neuen Kontext einbanden oder die ein im Laufe der Geschichte geschehenes Ereignis als das erkennen, welches mit dem Prophetenwort angekündigt wurde, und dieses dann im Text festhalten. Eine weitere Form der Fortschreibung findet sich in Worten, die die grundsätzliche Geisteshaltung eines Propheten aufnehmen und ihm Erwartungen an die kommende Zeit in den Mund legen bzw. zwischen seine Worte schreiben. Dieses Phänomen wird als Pseudepigraphie bezeichnet. D.h. ein Schriftsteller veröffentlicht seine Worte im Namen einer Person, die in der Gesellschaft ein großes Ansehen hat. Dieses findet sich in alttestamentlicher Zeit als redaktionelle Ergänzung in den einzelnen Büchern (z.B. die sog. Jesaja-Apokalypse in Jes 24-27), als auch nach Abschluss des Prophetenkanons als separate Schriften (z.B. die Elia- oder die Abraham-Apokalypse).
Aufgabe 22: Lesen Sie die Gottesknechtslieder in Jes 42,1-4; 49,1-6; 50,4-11 und 52,13-53,12.