Kompositionskritik

Kompositionskritik
Die Kompositionskritik
In diesem Arbeitsschritt wird die Funktion des Textes in seinem Kontext betrachtet. Dabei ist besonders auf die zuvor herausgearbeitete besondere Profilierung des Textes zu achten.
Als Leitfragen für diesen Arbeitsschritt sind vor allem drei zu nennen:
• In welchem Kontext steht der Text?
• Ist hinter der kompositorischen Anordnung ein leitendes Gestaltungsprinzip zu erkennen?
•Was macht den Text für seinen Kontext unverzichtbar?
Anhand der Komposition wird damit auch der Vermittlungsprozess, den der Autor mit seinem Werk anstrebt, deutlich. Wurde in der Form- und Gattungskritik deutlich, warum und bei welcher Gelegenheit er seine Botschaft verbreiten will, sichtbar, so stellt sich hier die Frage, wie er dieses bewirkt.
Zum Beispieltext
Im Anschluss an die Bergpredigt in Mt 5-7 stellt der Evangelist in den Kapiteln 8f. einzelne Texte zusammen, in denen das Handeln Jesu mit der Aufforderung zur Nachfolge kontrastiert werden. Neben der Erzählung vom Hauptmann von Kapernaum werden die Heilung eines Aussätzigen in Mt 8,1-4, die Stillung des Sturmes in den Vv23-27, die Heilung der zwei Besessenen in Gadara (Vv29-34), die Heilung eines Gelähmten (Mt 9,1-8), die Heilung einer Blutflüssigen und die Auferweckung der Jairus-Tochter (Mt 9,18-26) sowie Heilungen von Blinden und Stummen in Mt 9,27-34 geschildert. Doch auch wenn die Erzählungen allesamt Wundererzählungen sind, ist ihr eigentlicher Gehalt die Kontrastierung mit jüdischen Reinheitsvorschriften, wie es in der Frage nach dem Fasten durch die Johannesjünger in Mt 9,14-17 deutlich wird. Mit dieser Erzählung betont der Evangelist, dass die Taten Jesu mit den jüdischen Vorschriften konform sind und die in der Bergpredigt vermittelten Regelungen eingehalten werden. Jesu Handeln ist Gesetzeserfüllung.
Der Schlusssatz des Abschnittes in Mt 10,37f. zeigt den eigentlichen Duktus, den dieser gesamte Abschnitt hat: Es geht dem Autor nicht darum, Jesus in seiner Rolle als Messias darzustellen - wie Markus es mit einer vergleichbaren Komposition erwirkt -, sondern er will das rechte Verhalten der Gemeinde bezwecken: In der Aussendung und im Handeln für die anderen wird die matthäische Gemeinde konstituiert. So betont Matthäus am Ende dieses Abschnittes, dass die zu leistende Arbeit viel, die Arbeiter aber wenige sind. Diese sollen in der Ernte arbeiten, nicht aber die Ernte einbringen. Dieses bleibt ihrem Herrn vorbehalten.
Mit der Erzählung vom Hauptmann von Kapernaum wird in diesem Kontext geklärt, zu wem die Arbeiter des Herrn gehen sollen: zu allen Menschen ihres Umfeldes; und das heißt auch zu den Menschen, die nicht direkt zu ihrer Gemeinschaft gehören. Die angekündigte eschatologische Scheidung besagt in diesem Zusammenhang zweierlei: Zum einen wird deutlich, dass die Vorstellung, das Volk Israel werde das eschatologische Heil allein aufgrund seiner Abstammung erhalten, von Matthäus bestritten wird, zum anderen, dass die Scheidung von gerecht und ungerecht erst eschatologische vollzogen wird. Das wiederum heißt, die Gemeinde, so wie sie sich aktuelle darstellt, muss nicht mit dem Kreis der Menschen, die das Himmelreich ererben werden, übereinstimmen. Die Scheidung wird erst am Tag des Herrn vollzogen werden.
Während Mt 9,37f. die Ausrichtung der Gemeinde in der diakonischen Arbeit für das Volk vorgibt und Mt 9,13 mit der Aussage ,Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten‘, die Zielgruppe benennt, stellt Mt 8,5-13 den idealen Glauben dar, den der einzelne Mensch zur Erlangen eschatologischen Heils zeigen soll. Dieser äußert sich nach Mt 8,18-22 in der Ernsthaftigkeit der Nachfolge, die das einzelne Gemeindeglied haben soll.
Der einzelne Text, den es in der exegetischen Erarbeitung zu betrachten gilt, ist Teil eines größeren Werkes, durch das hindurch sich theologische Leitlinien finden. Die Summe der Einzelaussagen führt in ihnen zu einem Gesamtbild, das der Autor für seinen Leser zeichnen will. Dabei folgt er einem in biblischen Schriften beliebten Schema, Aspekte seines theologischen Denkens durch Worte einer Autorität zu legitimieren. Dabei gilt es zwei Ebenen zu unterscheiden: Zum einen ist der Text Teil einer komponierten Sammlung innerhalb des Evangeliums, zum anderen ist er ein Text, dessen theologischen Leitlinien sich durch das gesamt Evangelium ziehen.